Digitale Plattformen sind für die öffentlichen Verwaltungen kein Neuland. Die wohl bekannteste für den Bürger nutzbare Plattform ist Elster (elektronische Steuererklärung), ein gemeinsames Portal aller Länder und des Bundes zur Abwicklung der Steuererklärungen und Steueranmeldungen über das Internet. Die Plattform OSI (Online-Service-Infrastruktur) des öffentlichen IT-Dienstleisters Dataport ermöglicht beispielsweise ein zentrales Servicekonto, mit dem sich Bürger und Unternehmen anmelden, ein Postfach für Eingaben und Bescheide, eine Bezahlfunktion sowie eine Anbindung an Fachverfahren. Die Stadt Hamburg setzt OSI für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ein. Durch die Verbindung von OSI mit der Urban Data Platform (LGV) will die Stadt zudem Mehrwertdienste anbieten, zum Beispiel in den Bereichen Verkehr und Mobilität sowie Bildung und Kultur. In anderen großen Städten gibt es Mobilitätsplattformen, auf denen Angebote wie U-Bahn- und Busverkehr, Carsharing sowie Bike- und E-Roller-Sharing verschiedener Anbieter gebündelt werden.
Europäische Alternativen zu US-Plattformen im Gespräch
Für große Plattformvorhaben suchen die Verantwortlichen in der öffentlichen Verwaltung und Versorger verstärkt nach Partnern und Teilnehmern. 84 Prozent der für die Studie befragten Entscheider sind der Ansicht, öffentliche digitale Leistungen nur noch im Verbund mit anderen Unternehmen und öffentlichen Partnern erbringen zu können. Sie setzen auf offene, aber öffentlich-rechtlich kontrollierte Plattformansätze.
Einer davon ist, Alternativen zu kommerziellen Plattformen wie Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) zu schaffen und so deren Marktmacht zu begrenzen. 87 Prozent der Befragten befürchten kritische Abhängigkeiten durch dominierende Plattformen. Ein Vorschlag, um das zu verhindern, kommt von ARD-Chef Ulrich Wilhelm. Er hatte 2018 den Plan geäußert, eine Allianz aus Verlagen, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Institutionen und Verbänden zu schmieden mit dem Ziel eines öffentlich-rechtlichen Medien-Ökosystems. Die digitale Plattform soll unter anderem eine Suchmaschine mit „bürgerfreundlichen“ Algorithmen enthalten, die wie bei Facebook Interaktion mit Nutzern ermöglichen sowie gemeinsame Identitätssysteme nutzen.
„Die Umsetzung der Idee in die Praxis wird zur Herkulesaufgabe“, sagt Thomas Walsch, Director Digital Transformation bei Sopra Steria Consulting. Öffentlich-rechtliche Plattformstrategien sind generell schwerer zu verwirklichen als privatwirtschaftliche, vor allem auf internationalem Parkett. Viele Interessen müssen berücksichtigt und gesetzliche Anpassungen vorgenommen werden. Dazu kommt, dass die Algorithmen, auf denen Ergebnisse und Empfehlungen öffentlicher Suchmaschinen sozialer Netzwerke basieren, schärfere Transparenzanforderungen erfüllen müssen. „Staatliche Kontrollinstanzen müssen im Namen der Bürgerinnen und Bürger genau nachvollziehen können, wie Ergebnisse zustande kommen. Das erfordert erhebliche Investitionen in Explainable AI (erklärbare Künstliche Intelligenz)“, so Walsch.
Stadtwerke sind prädestinierte Plattformbetreiber
Die Branche der Energie- und Wasserversorger ist ebenfalls in der Plattformökonomie aktiv. Die RWE-Tochter Innogy positioniert sich beispielsweise als Smart-Home-Portal. Andere Konzerne beteiligen sich an Internet-of-Things-Plattformen, E.ON unter anderem mit der Beteiligung an der Firma Cuculus und deren Plattform Zonos. Für Stadtwerke ist die Rolle des Betreibers einer eigenen Plattform besonders interessant. Sie positionieren sich als digitale Drehschreibe für kommunale und regionale Leistungen für Bürgerinnen und Bürger.
Die Stadtwerke München wollen beispielsweise ein digitales Ökosystem zur Verfügung stellen und dabei eine Kombination aus eigenen und fremden Produkten und Services als Gesamtpaket anbieten. Denkbar ist, künftig digitale Leistungen der Stadtverwaltung zu integrieren, sofern die Voraussetzungen dazu erfüllt sind. Die Stadtwerke Burg skizzierten im Rahmen eines Open-Innovation-Wettbewerbs, welche Services eine digitale Plattform beispielhaft beinhalten kann. Dazu zählen eigene Leistungen für Menschen im Versorgungsgebiet wie die Hilfe beim Suchen von Parkplätzen, die Buchung von Umzugs- und Sperrmüllservices sowie eine Shopping-Plattform mit Produkten aus der Region mit Sonderkonditionen für Einzelhändler. Darüber hinaus wird das Einbinden von Partnerdiensten dargestellt. Dazu gehören Mobilitätspartner wie Bus-, Bahn- und Taxiunternehmen, Kreditrechner der ansässigen Banken und Sparkassen sowie IT-Services wie ein Dokumentensafe. Der Ansatz reicht bis zur eigenen Währung für das Versorgungsgebiet, dem Burg-Coin.
„Stadtwerke sind im Prinzip prädestinierte Plattformbetreiber. Als etablierter Dienstleister für Strom, Wasser, Telekommunikation und Mobilität verfügen sie bereits über langjährige Kundenbeziehungen, die sich neue Plattformdienstleister erst einmal aufbauen müssen“, sagt Michael Niebergall, zuständig für den Bereich Digital Energy von Sopra Steria Consulting. „Problematisch ist allerdings die Skalierung. Der mögliche Nutzerkreis ist in weiten Teilen bereits geografisch vorgegeben. Die Leistungen sollten sich daher an möglichst viele Menschen und Unternehmen innerhalb der eigenen Reichweite richten, um so eine maximale Skalierung zu erreichen“, so Niebergall.
Über die Studie
Die „Potenzialanalyse Digitale Plattformen“ von Sopra Steria Consulting und dem F.A.Z.-Institut basiert auf einer Online-Befragung in den Branchen Banken, Versicherungen, Energie- und Wasserversorgung, Telekommunikation und Medien, öffentliche Verwaltung, Automotive sowie sonstiges verarbeitendes Gewerbe. Im April und Mai 2019 wurden 355 Entscheider, Manager und Fachkräfte befragt, ob und wie ihr Unternehmen auf digitalen Plattformen vertreten ist, welche Chancen die Plattformökonomie bietet und welche Risiken bestehen.