„Die Digitalisierung bietet ein ähnlich großes Potenzial für die Gesundheitsversorgung wie die Erfindung des Penicillins oder die Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Sie kann Prävention und Therapie von Krankheiten entscheidend verbessern, zum Beispiel indem sie die telemedizinische Versorgung von chronisch kranken Menschen auf dem Land ermöglicht. Doch Regularien, die längst durch den technologischen Fortschritt obsolet geworden sind, haben die Entfaltung dieses Potenzials bisher gehemmt“, sagt Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom. „Das ändert sich nun endlich. Mit dem E-Health-Gesetz liegt ein verbindlicher Fahrplan zur Digitalisierung im Gesundheitswesen vor. Für Patienten, Ärzte und medizinisches Personal ist das eine großartige Nachricht.“
Als besonders bedeutende Fortschritte wertet der Verband die Einführung des elektronischen Medikationsplans, des Patientenfachs sowie mehrerer telemedizinischer Anwendungen. Der Medikationsplan soll Ärzten bei Patienten, die mindestens drei verschreibungspflichtige Arzneimittel nehmen, einen Überblick über die Medikation verschaffen und so unerwünschte Wechselwirkungen vermeiden helfen. Dies ist vor allem bei Menschen, die bei mehreren Ärzten in Behandlung sind, wichtig, also oft bei chronisch Kranken oder Älteren. „In Deutschland sterben bisher 20.000 Menschen jährlich an unerwünschten Wechselwirkungen von Medikamenten – also fünfmal mehr als im Straßenverkehr – und das nur, weil vorhandene Informationen nicht verfügbar gemacht werden. Der Medikationsplan wird viele Leben retten“, so Rohleder. Erfreulich sei zudem, dass das Gesetz den Übergang vom Medikationsplan auf Papier zum elektronischen Medikationsplan nun klar regelt. „Nur in digitaler Form kann der Medikationsplan seinen vollen Nutzen entfalten, also eine lückenlose Dokumentation sicherstellen“, so Rohleder. Mittelfristig sollte der elektronische Medikationsplan aus Bitkom-Sicht für alle Patienten eingesetzt werden und auch freiverkäufliche Medikamente einschließen.
Zudem begrüßt der Bitkom, dass es künftig ein elektronisches Patientenfach geben soll. Darüber können Patienten eigene Gesundheitsdaten, die sie zum Beispiel mithilfe von Apps sammeln, verwalten und ihren Ärzten in strukturierter Form elektronisch zur Verfügung stellen. Rohleder: „Damit wird der Austausch wichtiger Informationen zwischen Arzt und Patient entscheidend erleichtert. Möglich machen das auch innovative Start-ups, die intelligente Lösungen für das Patientenfach entwickeln werden.“
Die beiden im Gesetz vorgesehenen telemedizinischen Anwendungen werden ebenfalls großen Nutzen bringen. So können in Zukunft Röntgenaufnahmen telemedizinisch ausgewertet werden. Zudem können Ärzte mit Patienten, die sie bereits kennen, auch Online-Video-Sprechstunden durchführen. „Gerade bei Routineuntersuchungen ist eine Videokonferenz oft ausreichend, und diese Möglichkeit kann Arzt und Patient enorm entlasten“, sagt Rohleder. Bisher waren solche Anwendungen durch das Fernbehandlungsverbot, das in der Musterberufsordnung der Ärzte festgeschrieben steht, ausgeschlossen. Rohleder: „Endlich werden innovative Lösungen zum Wohle der Patienten nicht mehr global als Fernbehandlung verboten.“
Allerdings haben aus Bitkom-Sicht immer noch zu wenige telemedizinische Anwendungen Eingang ins Gesetz gefunden. „Per Telemonitoring könnte man die Versorgung für Schlaganfall- oder Diabetespatienten auf ein ganz neues Niveau heben. Diese Chancen bleiben im vorliegenden Gesetz leider ungenutzt, obwohl der Koalitionsvertrag hier ehrgeizigere Ziele formuliert hatte“, sagt Rohleder. Schon 2012 hat die Politik Kassen und Ärzte aufgefordert, sich darüber zu verständigen, welche telemedizinischen Leistungen künftig als Regelleistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattungsfähig sein sollen. Bisher hat es hier kaum Fortschritte gegeben. „Diese Zögerlichkeit führt auch dazu, dass Start-ups, die in diesem Bereich aktiv sind, Deutschland teils den Rücken kehren. Diese Abwanderung von Innovationskraft müssen wir verhindern, indem wir bei der Telemedizin mehr Tempo machen“, so Rohleder.
Die technischen Voraussetzungen für den Datenaustausch im Gesundheitssystem von morgen werden mit der Telematikinfrastruktur geschaffen – einer Art Datenautobahn für das Gesundheitswesen. „Diese Infrastruktur wird entscheidende Akteure im Gesundheitswesen vernetzen und eine sichere Übertragung etwa von Notfalldaten oder elektronischen Arztbriefen ermöglichen.“ Das verabschiedete E-Health-Gesetz weist aus Bitkom-Sicht allerdings Defizite bei der Interoperabilität auf, also bei der Fähigkeit verschiedener Akteure über die Telematikinfrastruktur miteinander zu kommunizieren und zu interagieren. „Wir müssen hier verbindliche Regelungen schaffen, damit alle Akteure im Gesundheitssystem die gleiche Sprache sprechen. Hier geht das Gesetz noch nicht weit genug“, so Rohleder. Für einen reibungslosen Roll-Out der neuen Online-Funktionen der elektronischen Gesundheitskarte ist es zudem aus Bitkom-Sicht entscheidend, dass die Industrie klare Vorgaben zur Umsetzung bekommt und diese nicht wiederholt verändert werden. Änderungen der Anforderungen bzw. neue Spezifikationen müssen von den Unternehmen umgesetzt werden und bleiben zwangsläufig nicht ohne Auswirkungen auf den Projektplan.“