Verschlafen wir die Chancen intelligenter und vernetzter Mobilität?

Was muss Mobilität im 21. Jahrhundert leisten?

Intelligente und vernetzte Mobilität nutzt die Potenziale der Digitalisierung für eine komfortable, kundenorientierte und umweltschonende Mobilität. Intelligente und vernetzte Mobilität ist:

Einfach: Jede Reise hat nur eine Zugangsberechtigung für alle beteiligten Mobilitäts-dienstleistungen

Verlässlich: Von Tür zu Tür werden alle Verkehrsangebote bestmöglich kombiniert genutzt

Bezahlbar: Effiziente Ressourcennutzung erlaubt auch in Zukunft Mobilität für alle

Nachhaltig: Verkehrsmittel sind besser ausgelastet und reduzieren Eingriffe in die Natur

Komfortabel: Öffentliche Mobilität ist bei Komfort und Flexibilität konkurrenzfähig

Aufwachen!

Wir wollen die Digitalisierung als Chance für einen mentalen und realen Neuanfang nutzen. Seit Jahrzehnten kennen wir die bekannten strukturellen Hemmnisse, die einer intelligenten Vernetzung aller Verkehrsmittel entgegenstehen.

Auch nutzerseitig sind die Anforderungen an zukünftige Mobilitätslösungen bereits bekannt. Laut der 5. Zukunftsstudie des MÜNCHNER KREIS1 ist das wichtigste Bedürfnismuster für Mobilität von morgen, dass die Reisezeit auch für andere Aktivitäten als nur das Reisen selbst genutzt werden kann – in Verbindung mit hoher Flexibilität, Komfort und Privatsphäre. Anbieter von individuellen wie kollektiven Mobilitätslösungen haben hierauf noch keine überzeugende Antwort. Die konsequente Ausrichtung auf die Kunden und ihre Bedürfnisse in einer digitalen Welt ist in den Geschäftsmodellen der heutigen Anbieter noch nicht ausreichend erfolgt.

Momentan überlassen wir das Themenfeld Unternehmen, die sich, mit ausreichend Wagniskapital ausgestattet, ihre Erprobungsräume selber schaffen. Werden hier nicht frühzeitig Rahmenbedingungen und Spielregeln unter Einbeziehung des ÖPV festgelegt, geraten andere Innovationen ins Hintertreffen.

Daher müssen wir es jetzt wagen, gewohnte Handlungsmuster und gewachsene Besitzstände infrage zu stellen. Nur dann wird die Dynamik der Digitalisierung auch zu einem Motor für intelligente und vernetzte Mobilität in Deutschland und Europa.

Wir sehen drei zentrale Stoßrichtungen für die Etablierung neuer Angebote und Spielregeln für intelligente und vernetzte Mobilität.

1. Offene Daten für vernetzte Verkehrsmittel

Bisher sind viele Daten wie zum Beispiel Verkehrspläne, Auslastungsdaten und Echtzeitinformationen aus allen Verkehrsmitteln oft nur für geschlossene Anwendergruppen nutzbar bzw. nur für einzelne Marktteilnehmer zugänglich. Intelligente und vernetzte Mobilität braucht für einen barrierefreien Zugang zu intermodalen Mobilitätsdienstleistungen aber offene und geteilte Daten.

Unsere Handlungsempfehlung: Es muss zentrale Forderung der Politik an die Mobilitäts-dienstleister sein, über Bund und Länder hinweg, offene Daten bereitzustellen. Ein verbindlicher Masterplan in Verantwortung des Bundes inklusive Finanzierung und der Zuständigkeit für die Umsetzung offener Plattformen ist dafür notwendig.

2. Interoperabilität für mehr Wettbewerb

Einzelne Unternehmen in Deutschland bieten schon jetzt nahezu die gesamte Palette von Mobilitätsdienstleistungen an. Interoperable Austauschformate und Technologien vermeiden hier langfristige Monopolansprüche auf die digitale Dividende für Mobilität.

Unsere Handlungsempfehlung: Interoperabilität ist eine Kernforderung an öffentliche und privatwirtschaftliche Mobilitätsdienstleister und Hersteller. Statt des Versuchs, öffentliche Standardlösungen bundesweit zu etablieren, sehen wir in der Vielfalt der technischen Möglichkeiten intermodaler Vernetzung eine Chance. Wie bei der Entwicklung des Internets ist dabei die Interoperabilität an den Schnittstellen sicherzustellen.

3. Sektorübergreifende Experimente fördern – dafür schnell klare Spielregeln setzen und einfordern

Ohne den Mut und den Willen, Neues zu probieren, wird es keine echte Innovation geben. So könnte eine erprobte Mobilitätsdienstleistung zwar gegen aktuell geltendes Recht in Deutschland/Europa verstoßen, was allerdings nicht heißt, dass die Dienstleistung an sich nicht nützlich ist. Eine kooperative Innovationskultur muss umgehend und ohne bürokratische Hürden gefördert werden. Dazu braucht es Freiraum und klare Spielregeln für alle Beteiligten. Mit allen Anspruchsgruppen am Tisch, entstehen praxis-nah nachhaltige und gesellschaftlich akzeptierte Mobilitätskonzepte.

Unsere Handlungsempfehlung: Erprobungsräume brauchen Spielregeln – diese müssen klar und nachvollziehbar definiert werden und einfach zu etablieren sein. Es braucht aber auch Unternehmen, die bereit sind zu experimentieren. Beides muss unterstützt und gefördert werden.

Mobilität bewegen!

Deutschland braucht ein Forschungs- und Innovationsprogramm „Digitale Infrastruktursysteme für vernetzte Mobilität“ mit dem Fokus auf die nachhaltige Gestaltung von intelligenten und vernetzten Mobilitätsdienstleistungen. Offene Daten und interoperable Schnittstellen sind die Forderung an alle Beteiligten des Programms. Kern des Programms ist die Etablierung von Erprobungsräumen und Migrationskonzepten für intelligente und vernetze Mobilität. Das Ergebnis müssen nachhaltig genutzte, gesellschaftlich akzeptierte und global wettbewerbsfähige Mobilitäts-dienstleistungen und intelligente Infrastruktursysteme sein.

Wir schlagen vier Eckpunkte für ein Forschungs- und Innovationsprogramms „Digitale Infrastruktursysteme für Vernetzte Mobilität“ vor.

1. Grundlagenforschung für intelligente und vernetzte Mobilität

  • Analyse der Chancen, Risiken und Wirkzusammenhängen einer Digitalisierung für den ressourcenschonenden Transport von Menschen und Gütern.
  • Analyse von Effizienz, Systemstabilität und Nachhaltigkeit in vernetzten transnationalen Infrastrukturen.
  • Bewertung der europäischen Rahmenbedingungen für intelligente und vernetzte Mobilität

 2. Intelligente Betriebssysteme für digitalisierten Verkehr

  • Systeminnovation: Automatisierung und Industrialisierung des intermodalen Verkehrs im organisierten Individualverkehr und öffentlichen Verkehrssysteme.
  • Systemsteuerung: Vernetzung und interoperable Auswertung von objekt- und streckenspezifischen Verkehrsdaten.

3. Digitalisierung der Plattformen für Mobilitätsdienstleistungen

  • Optimierung der Planung, Bereitstellung und Instandhaltung von Infrastrukturplattformen
  • Verknüpfung von Nachfrage (Kunden) und Angebot (Betreiber) in intermodal optimierten Verkehrsnetzwerken in Europa

 4. Akzeptanz-, Transfer- und Wirkungsforschung

  • Erprobung innovativer Finanzierungs- und Anreizsysteme im privaten und öffentlichen Verkehr
  • Frühzeitige Integration von Nutzer- und Anspruchsgruppen in die Entwicklung und Migration von Fahrzeugflotten, Infrastrukturen und Mobilitätsdienstleistungen
  • Neue Ansätze zur Erhöhung der „Systemakzeptanz“ für digitale Mobilitätsangebote und Infrastruktursysteme.

Die zentralen Anforderungen für dieses Programm sind in dem oben geforderten Masterplan zur digitalen Reformation des Mobilitätssektors festzuhalten. Eine wissenschaftliche Begleitung und eine revolvierende Überprüfung der Ziele und Zielerreichung sind notwendig, da der „richtige“ Weg zu den ambitionierten verkehrs- und klimapolitischen Zielen der Bundesregierung derzeit noch nicht erkennbar ist und von sozialen, technischen und politischen Rahmenbedingungen, dem internationalen Innovationsumfeld und der Dynamik des Verbraucherverhaltens abhängig ist.

Hintergrund

Über die Expertengruppe „Intelligente und vernetzte Mobilität“ im MÜNCHNER KREIS

Der MÜNCHNER KREIS gestaltet die digitalisierte Wissens- und Informationsgesellschaft durch die Arbeit seiner Mitglieder aktiv mit. Als gemeinnützige, internationale Vereinigung an der Nahtstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft bietet der MÜNCHNER KREIS eine unabhängige Plattform. Mit einer Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten setzt er sich transdisziplinär und konstruktiv mit den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung auseinander.

In seinem Langfristprojekt „Zukunftsstudie“ weist der MÜNCHNER KREIS auf veränderte Bedarfe von Mobilität hin und zeigt die Entwicklungspotentiale von Digitalisierung und Vernetzung für die Mobilität von Morgen auf (siehe die Zukunftsstudien des Münchner Kreises 2013 und 20141).

Die Expertengruppe „Intelligente und vernetzte Mobilität“ wurde vom Vorstand des MÜNCHNER KREIS beauftragt, neue Impulse für eine intelligente und vernetzte Mobilität von Menschen und Gütern als Grundvoraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Wohlstand im Europa des 21. Jahrhunderts zu generieren. Dazu kombiniert die Expertengruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Krcmar die langjährige Erfahrung und Expertise ihrer Mitglieder aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.

1 vgl. die Zukunftsstudien des MÜNCHNER KREIS 2013 und 2014. Zum kostenfreien Download der Studien siehe www.zukunft-ikt.de

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